Artist Talk am 13.02.2020 in der Ausstellung

“Im nächsten Leben bin ich eine Ameise“ • Zeichnungen vom 25.01. bis 29.03.2020

Kommunale Galerie Kulturhaus Karlshorst, Berlin

• Rani Le Prince, bildende Künstlerin und Sabine Rohlf, freie Autorin/Redakteurin •

S: Fangen wir mit den Bildern an, mit den Zeichnungen, die hier hängen und Anlass des Gesprächs sind: Sie behandeln drei Motivkomplexe und zwar Bambus, Tanz und die Ameisen. Ich stand vorhin vor einer Zeichnung und ich fragte mich: Würde ich eine Ameise sehen, würde ich den Titel nicht kennen, sind die Zeichnungen gegenständlich oder nicht? Wie wichtig ist das Motiv für dich? Ich weiß, es ist wichtig … aber … wie kommt die Ameise auf das Papier? Oder auch nicht?

R: Sie kommt angelaufen, sie läuft da so rüber (lacht) … Ja ursprünglich war das vielleicht wirklich einfach das, dass ich die Spuren von Ameisen beobachtet habe, ihr Laufen, auf einer Terrasse … Und die Geschichte dahinter ist, dass ich im Studium überhaupt nicht zeichnen wollte, denn Zeichnen war so … ach … so das handwerkliche Üben … war nicht so frei … aber wir hatten einen tollen Professor, der mich dann fast täglich gedrängt hat, ich sollte doch zeichnen! Auch gern mit Farbe, denn Farbe wäre ja mein Medium. Und dann habe ich eines Tages zu ihm gesagt: Ok, ich zeichne, aber nur Ameisen. Und er freute sich, zog tausend Bücher raus und spannende Geschichten über Ameisen und so habe ich erstmal hauptsächlich Ameisen gezeichnet. Dabei ist es auch eigentlich geblieben, es ist ein Thema, das ich wichtig und gut finde. Auch weil die Ameisen für jeden etwas bedeuten. Jeder bringt damit sofort etwas in Verbindung, jeder hat eine andere Vorstellung.  

S: Es gibt sie auf der ganzen Welt, ich habe gerade ein Buch über Ameisen gelesen, nur am Nordpol und ich glaube, auf Island, gibt es keine Ameisen. Aber gut. Dein Professor hat dich dazu gebracht zu zeichnen … wie kann ich mir das vorstellen? 

R: Einmal ist es dieses direkte Beobachten, einfach Kleinstlebewesen zu beobachten und dann zu zeichnen, und so lange zu zeichnen, bis die Motive nicht unbedingt wiederzufinden sind oder so oft zersetzt in der Zeichnung, bis sie eben nicht gegenständlich bleibt. Und die Titel gebe ich ja dazu, trotzdem sind diese separat zu sehen, in der Ausstellung hängen sie meist nicht direkt daneben. Das Motiv der Zeichnung ist also auch im Titel, daneben oder dahinter. Und die Motivation, Ameisen zu zeichnen, ist ihr komplexes soziales Leben, das ich übertrage auf Menschen als ebenso sozial organisierte Lebewesen. Diese Parallelen. Deswegen sind die Titel zum Beispiel „Ameisen in Schlafposition“ oder „Wanderameisen“, „fourmis nomades – nomadische Ameisen“ und hier der Ausstellungstitel „Im nächsten Leben bin ich eine Ameise“, damit beziehe ich das natürlich sofort auch auf das Menschliche. 

S: Wie ist es mit dem Bambus? Was verbindest du mit dem Bambus?

R: Zum einen ist es eine persönliche Sache, da mein Vater ein Fan war vom Bambus und seiner Geschichte: Bambus ist eine Pflanze, die das Leben begleitet, besonders ausgeprägt in Vietnam, damals Indochina, wo er einen Teil seiner Kindheit verbrachte. Es ist eine Pflanze, die von A bis Z Menschen begleiten kann, als Nahrung, als Material für Dächer, Matten, Werkzeug, was man alles aus den Blättern und den Bambusrohren herstellen kann, bis eben zur Urne, bis zum Scheiterhaufen … da gibt es tatsächlich ganz viele Geschichten. 

S: Also Kindheitsgeschichten? 

R: Ja. Und es ist das Erlebnis, im Bambuswald zu stehen oder in einem riesigen Bambusgarten. Ich hatte einfach Lust, das zu zeichnen. Mich fasziniert die Bewegung, wie bei den Ameisen, die Haptik, das, was ich als Klänge empfinde, als Gerüche, als Frische. In so einem heißen Gebiet in einem Bambusschatten … das Vibrieren … das ist etwas, das mich ästhetisch interessiert, die Farbigkeit so einer Pflanze … Und dann fange ich an, zu lesen, zu recherchieren, wissenschaftliche oder poetische Texte, Literatur. Es ist eine Pflanze, die unglaubliche viele Probleme lösen könnte. So war es jahrhundertelang in Asien. Millionen von Menschen in China, Vietnam, Korea, Indien leben in aus Bambus gefertigten Behausungen. Und das ist ein sehr großer Teil der Menschheit.  Es ist ein Rohstoff, der unglaublich schnell wächst und auch wieder vergeht. Es gibt kein Mikroplastik danach. Das hat mich immer mehr fasziniert und das Thema ist auch noch nicht zu Ende für mich. Ich habe 2018 damit angefangen und es geht weiter.  

S: Ich habe noch nie über Bambus nachgedacht, muss ich gestehen, 

R: Tja, in der chinesischen und japanischen Malerei hat Bambus eine sehr lange, sehr alte Geschichte. Es gäbe sehr viel zu sagen darüber, was Bambus alles bedeutet, was für Gedichte und Schriften dazu verfasst wurden. In der asiatischen Kunst ist er eine heilige Pflanze, die sehr viel zitiert wurde und wird.

S: Es ist eine sehr europäische Sicht, sich nicht für Bambus zu interessieren. 

R: Das könnte man so sagen. Als ich das erste Mal Bambus-Zeichnungen ausgestellt habe, kam tatsächlich eine Frau auf mich zu und sagte: Wieso Bambus, der wächst doch hier gar nicht … 

(Gelächter im Publikum) 

R: Da war ich perplex. Aber dann habe ich gesagt, doch, hier wächst welcher, in Marzahn in den Gärten der Welt, bei mir im Hof, mitten in Berlin. Und ich kann ja auch zeichnen, was hier nicht wächst … das fand ich sehr komisch, irritierend, aber auch interessant, wie so etwas passiert.

S: Du zeichnest auch Granatäpfel, Feigen, Plankton, Rattenflöhe – Pflanzen, Früchte, Insekten … und dann kommt der Tanz. Kommt er aus einer ganz anderen Ecke oder gibt es eine Verbindung? 

R: 2003 war ich in einem Projekt mit Tänzern, Schauspielern, Musikern, Bildenden Künstlern im Landesmuseum in Mainz. Die meisten bildenden Künstler zogen sich in ihre Ecken zurück, ich hatte mein Atelier auf dem Boden, mitten in diesem Museum und die Tänzergruppe und die Musiker improvisierten da jeden Tag und ich habe gezeichnet. Und so sind diese Sachen entstanden. Ich habe mitten in diesem Geschehen gezeichnet. Wenn ich woanders bin, habe ich meistens quadratische Bücher dabei. Und so ist ein Buch entstanden, fast vollständig, alles spontan, geschriebene Choreographien, wenn man so will, oder Improvisationen. Aus den Büchern heraus zeichne ich im Atelier einzelne Blätter. Also gibt es dann solche Motive auch mehrmals, die nur leicht variieren. Es war ein Tänzer dabei, Erick aus Ecuador, der fragte mich, was ich denn sonst so zeichne, ich antwortete: Ameisen zum Beispiel. Und dann fing der sofort an – „die tanze ich dir!“ – und tanzte eine Ameise und das habe ich gezeichnet. Insofern sind das -auch- Ameisen. 

S: Und nun hängen Zeichnungen aus beiden Motivkomplexen hier. Und der Bambus.

R: Für meine eigene Arbeit momentan ist es anregend, dass ich diese Verbindung hier so herstellen konnte. Von der Tanzzeichnung zu einer eigentlich sehr statischen Pflanze, die aber dann doch anfängt, sich zu bewegen. Es ist auch eine sehr biegsame Pflanze, die, sobald ein Wind hineingeht, sofort in Bewegung gerät, sehr tänzerisch, und dann Ameisen, die sich im Grunde genommen auch in Tanzformation bewegen. Wer sie genau beobachtet, sieht, was sie konstruieren und abbauen und wegtragen und säubern, was da alles passiert. 

S: Und wie sieht es mit dem Zeichnen, also Deiner Arbeitsweise aus? 

R: Die Parallele ist: Es ist die Beobachtung von etwas, das eigentlich schnell passiert. Auch wenn ein Tänzer langsame Bewegungen macht, passiert so viel auf einmal. Das zu skizzieren ist wie so eine Stenoschrift in der Zeichnung, in der Bewegung. Das heißt, ich muss es ständig abfotografieren und es irgendwo in mir drin haben. Ich zeichne so, dass ich beim Zeichnen eigentlich nur auf das, was ich zeichne, schaue, und weniger auf das Blatt. Ich muss quasi zwei Blicke gleichzeitig haben. Und das ist das, was bei allen Zeichnungen hier passiert. Und dadurch entsteht für mich die Bewegung auf den Zeichnungen.

S: Bewegung ist dir auch ganz persönlich wichtig, du hast ja selbst viel getanzt in deinem Leben. 

R: Ich liebe das tatsächlich, ich wollte ursprünglich Tänzerin werden. Es ist ein Lebenselixier und ich habe es geliebt, inmitten dieser Tänzer zu zeichnen. Ich habe das jetzt wieder aufgegriffen, mit einer indischen Choreographin, Padmini Chettur. Im letzten Herbst habe ich angefangen, in ihren Proben und Aufführungen zu zeichnen. Das ist der Anfang einer neuen Periode des Zeichnens. Sie ist eine zeitgenössische indische Choreographin und Tänzerin, sie hat zehn Jahre Bharatanatyam getanzt, das ist der klassische südindische Tanz, der mit dem Rhythmus der Füße eine enge Verbindung zur Erde herstellt. Sie hat heute ein sehr zeitgenössisches Repertoire, in dem ich noch diesen klassischen Tanz erkennen kann. Der ist da ganz leicht zitiert. Und insofern hat ihre Arbeit etwas sehr Verwurzeltes in einer langen indischen Philosophie und Tradition. 

S: Wie deine Arbeit auch. Oder? Kommen wir mal zum Titel der Ausstellung „Im nächsten Leben bin ich eine Ameise“. Bei der Vernissage hast du den Mythos eines Indras erzählt, eines ruhm- und prunksüchtigen Herrschers, der lernen muss, dass er im Zyklus der ewigen Wiedergeburten eines Tages zur Ameise wird. Darin geht es nicht allein um Demut oder Bescheidenheit, sondern um ein Denken, das eine andere Verbindung zwischen Menschen, Pflanzen, Tieren, Elementen herstellt als die, die wir in Europa so gewöhnt sind. Ich habe vorhin nochmal in einem Buch von Vandana Shiva geblättert, die für ihren Einsatz für indische Bauern mit dem alternativen Nobelpreis geehrt wurde. Sie bezieht sich auf die alte indische Naturphilosophie Vaisheshika und sagt mit Blick auf die globale Umweltzerstörung, es sei eine „Illusion, dass Mensch und Natur separiert werden können, weil wir ein Teil der Natur, der Erde sind, und nicht abgesondert von ihr existieren“. Von diesem Denken steckt ja in deiner Arbeit auch ganz viel.

R: Ja. Das ist so. Ich empfinde so eine Philosophie der Verbundenheit als normal. Und ich stolpere immer wieder über dieses Geist und Körper trennende Denken, das ich tatsächlich gar nicht genau fassen kann. Ich habe wohl aufgesogen, was mein Vater mir erzählt hat, als Kind. Ich habe auch aufgesogen, wie wir aus unserer eigenen Erde, unserem Gemüsegarten gelebt haben und mit ihr sehr verbunden waren. Ich muss dazusagen, dass es meine deutsche, schlesische Großmutter war, die den Garten bestellt hat. Und dazu die Geschichten meines Vaters, seiner Kindheit. Als ich als Zehnjährige die indische Familie kennenlernte, waren deren Geschichten, deren Kultur für mich etwas völlig Normales. Ich dachte, ja, das fühlt sich gut an hier. Da war was, was ich einfach so mitgenommen habe und später immer wieder erklären musste – in manchen Gesprächen. Oder in Konfrontationen mit anderem Denken. 

S: Konfrontationen … Du hast bei einem Gespräch nach der Vernissage gesagt, dass Du plötzlich politisch bist, obwohl du das gar nicht irgendwie beabsichtigt hattest. 

R: Ja, das hatte ich nicht geplant.

S: Als wir darüber sprachen, ging es um Rassismus, um Fremdenfeindlichkeit, um Hass gegen Flüchtlinge, Themen die leider gerade wieder die Schlagzeilen bestimmen. Da hast du gesagt, dass dich die gesellschaftlichen Entwicklungen allein wegen deiner Existenz, deiner Familiengeschichte in eine Position rücken, die politisch ist. Ohne dass du diese Position gewählt hättest. Und auch ein Denken, dass die Verbundenheit von Kultur und Natur, des Menschen und seiner Umwelt betont, ist zutiefst politisch, wenn man sich die ökologische Krise um uns herum anschaut. Was denkst du darüber? Also wenn ich zu deinen Ameisenbildern sagen würde, das ist eine Kunst, die sich in gewisser Hinsicht politisch denken lässt. Stört dich das? Ist das übergestülpt?

R: Nein, gar nicht. Wenn ich kleinste Naturzyklen beschreibe in meiner Zeichnung und sie Themen des Wiederkehrenden und der Wiedergeburt sind oder, wie Bambus, ein nachhaltiges Material, dann ist das natürlich von mir auch so gewollt. Dann freue ich mich, wenn ich das entdecke, zu dem Ästhetischen, das mich fasziniert. Dass es die Verbindung hat, die aktuell mich natürlich auch selbst sehr beschäftigt. Ich bin abhängig von einer intakten Umwelt. Da sitzen wir ja alle mit im Boot. Wenn das politisch ist, dann sind meine Zeichnungen politisch, ja.

Frage aus dem Publikum: Also ich frage mich, wo setzt du das Politische an in den Zeichnungen, also am Motiv oder an der Art des Zeichnens oder am Widerstand? Ich finde es spannend zu fragen: Wo fängt das Politische in so einer Arbeit an? Der Kern, der Impuls jedes Bildtyps ist ja eigentlich ein ganz sinnlicher, tatsächlich impulsiver und auch widerständiger. Ob es jetzt bei Deinem Professor ist, wenn Du sagtest, ich zeichne aber nur Ameisen oder Rattenflöhe, was ja auch fast eine Verweigerung ist, oder das sinnliche Ereignis eines Bambuswaldes, das finde ich ja erstmal auch ausreichend spannend genug. Also zu sagen, was man erlebt und das dann auch zu transportieren. Ohne zu sagen, das hat jetzt diese und jene Bedeutung, daraus kann man das und das machen … ich würde sagen, da setzt etwas Politisches auch schon an.

S:  Also in dieser Weigerung sinnstiftend zu sein, einen großen Zusammenhang herzustellen?

Publikum: Das ist halt immer schwierig – ist alles politisch? Die Verweigerung sich als Künstlerin in einen pragmatischen Wirtschaftsbetrieb zu begeben, ist politisch. Ich finde es schwierig, dies nur an den Motiven festzumachen. 

R: Muss man ja auch nicht. Das Wort Widerstand passt ganz gut. Ich weigere mich ja auch, die Bilder komplett auszufüllen. Ich bestehe auf Pausen. Ich zeichne um das Weiß herum, das ist ja auch … eine Haltung … ein Betonen …  immer wieder darauf zu zeigen, dass wir Pausen brauchen, dass wir Innehalten brauchen, das wir Langsamkeit brauchen, dass wir Ruhe brauchen. Das Gefühl, das ich hier mitgebe, ist auch eine Leichtigkeit. Dass wir es nicht so schwer nehmen … Es ist schon die Luft zum Atmen dazwischen …

Publikum: Und der Blick auf das Nichtoffensichtliche. 

R: Ja. Und dass die kleinen Dinge genauso wichtig sind – diese Geschichte war schon ein Auslöser in meiner zeichnerischen Entwicklung. Und dass ich diese ‚Parade der Ameisen‘ ausgerechnet bei einem Indologen finde, einem Deutschen, der in der Nazizeit dann ins Exil musste, hat mich auch beschäftigt. Und es prägt, ohne dass ich das will, dass ich zwischen oder mit drei Kulturen lebe. Dauernd begegnet mir: Wieso, du bist doch deutsch, nein, du bist keine Deutsche, ah nein, du bist Französin, da kann ich immer nur sagen: Hallo?!

S: Nach dem Motto: „Hier wächst doch kein Bambus!“

R: Genau. So ähnlich. Das ist schon kurios. Gerade war ich wieder bei meiner französischen Familie. Die übrigens Pondichéryaner sind … 

S: Vielleicht müssen wir kurz erklären, was Pondichéry ist. Denn ich dachte lange, dass ganz Indien von England kolonisiert wurde, aber das stimmt nicht. 

Katharina Le Prince (aus dem Publikum): Darf ich das mal kurz erklären? Pondichéry ist eine von den fünf französischen Comptoirs. Indien war zunächst zu großen Teilen französisch kolonisiert, im Siebenjährigen Krieg haben die Englänger es dann erobert. Frankreich behielt nur fünf Handelsstädte am Meer, das waren die fünf Comptoirs. Und die sind heute noch sehr französisch ausgerichtet.

R: Pondichéry ist die Heimatstadt meines Vaters, des Ehemannes meiner Mutter, die das deswegen so gut kennt und erklärt. Er ist Nachkomme von jemandem, der als Inder geboren wurde und 1882 in einem französischen Comptoir die französische Nationalität angenommen hat. Seitdem ist die Familie französisch. Wenn ich meine Verwandtschaft väterlicherseits frage, sagen sie aber: Wir sind Pondichéryaner.

S: Das klingt wie ein sehr spezieller Begriff …

R: Was willst Du auch sagen, wenn du in mehreren Kulturen zuhause bist? Wenn die Staatsangehörigkeit nicht zu der Muttersprache passt … Also meine Großmutter, die in Pondichéry, war Katholikin, hatte die französische Staatangehörigkeit, sprach aber kein Französisch. Sie sprach Tamul und wahrscheinlich noch ein oder zwei indische Sprachen.  Meine Generation, die sagen dann, dass sie Franzosen sind in Frankreich, teils sind sie Franzosen, teils Pondichéryaner, und zu mir sagen sie: Du bist die Deutsche. Das sind so Etiketten. 

S: Letztes Jahr haben wir beide uns für eine Radiosendung über Heimat unterhalten. Wir sprachen darüber, wie es für dich war, in einem norddeutschen Dorf aufzuwachsen und nicht so auszusehen wie die meisten. Wir haben darüber geredet, wie diese verschiedenen Kontexte oder Kulturen: deutsch, französisch, indisch bzw. Pondichéry nebeneinanderstehen. Und dann hast du den schönen Satz gesagt: ‚Mein Zuhause, meine Heimat ist eigentlich die Kunst‘. Da geht das nämlich alles miteinander, ohne dass wir ein neues Etikett brauchen. 

R: Ja, da fragt eigentlich keiner – nicht so schnell zumindest. Jedenfalls dort, wo ich mich bewege. Ich würde das nicht pauschalisieren. Da wo ich mich wohlfühle, im Studium oder später in Künstlergruppierungen, Ausstellungen, Gesprächszusammenhängen, jetzt hier in Berlin in einigen Galerien … An den Stellen, an denen ich mich mit der Kunst beschäftige, zieht mich an, dass vieles in Frage gestellt wird. Ich stelle mich auch immer wieder selbst in Frage. Wenn ich eine neue Zeichnung mache, stelle ich eine Frage. Und es ist einfach … für mich ist es ein gutes Gefühl, das nichts feststeht. Da komme ich auch schnell zu Philosophien wie dem Buddhismus, wo es darum geht, dass es ein Hier und Jetzt gibt und alles in Bewegung ist und im Fluss und wir nichts festhalten können, sondern dass es immer weitergeht und sich weiterentwickelt. Und deswegen feste Größen nicht so eine Wichtigkeit haben, Besitz nicht so eine Wichtigkeit hat. Dass etwas Unveränderliches, ein ‚So war es schon immer und so muss es immer sein‘ überhaupt nicht existiert. Und das ist das, was ich in der Kunst finde. Auf jeden Fall. Also was ich auf meinem Weg der Kunst immer finde. 

S: Ich würde sagen: So sehen deine Zeichnungen auch aus. Es sind nicht ihre Sujets, es ist der visuelle Eindruck, vielleicht auch ein Gefühl, das sie vermitteln, Bewegung, auch Veränderlichkeit, sie setzten nichts fest, drängen mir ihr Thema oder ihren Gegenstand nicht auf, auch wenn es beides durchaus gibt. Das alles ist in meinen Augen auch über den Raum der Kunst hinaus wichtig, gerade heute. Aber politisch ist vielleicht ein viel zu dicker Aufkleber. Das ist eine Kategorie, die das fast schon wieder erdrückt, ich hätte gern ein anderes Wort.

R: Aber dann können wir mal ganz kurz überlegen: Woher kommt denn Politik, das Wort ‚politisch‘ …

Katharina Le Prince (aus dem Publikum): Polis ist das Volk, das Volk macht gemeinsam Politik. 

R: Genau. Es geht darum, wie wir leben wollen in einer sozial organisierten Gemeinschaft, so wie die Ameisen in ihrem sozial organisierten Staat als ein Lebewesen funktionieren. Jede kleine Ameise ist Teil eines großen Körpers. Eigentlich heißt es nur das: Wie wollen wir zusammenleben? Und wenn wir es so sehen, dreht sich meine ganze Arbeit darum. Darum, dass ich darauf aufmerksam mache, was mir wichtig ist, was wir nicht verlieren sollten, worauf wir achten oder worauf ich achten möchte. Und das gebe ich so weiter und viele Menschen antworten darauf. 

S: Also gut, mit so einem Begriff des Politischen geht das ganz gut. 

R: Kommen wir nochmal auf Vandana Shiva zurück, die du vorhin angesprochen hast. Sie war kürzlich in Berlin. Es ging bei der Veranstaltung darum, was für eine Agrarpolitik wir machen, dass wir unseren Boden vergiften, und dass westliche Länder das auch mit anderen Ländern getan haben. Da war ein ganzes Podium mit Leuten, die berichteten, dass z.B. in Kenia Pestizide verkauft werden, die hier schon lange verboten sind. Das wird weiterhin exportiert, die Bauern vergiften sich, weil sie die Gebrauchsanweisung nicht lesen – oder Analphabeten sind. Diese Geschichten gibt es in Indien, in vielen afrikanischen Ländern und es war auch jemand aus Brasilien auf dem Podium, da ist es genauso. 

S: Die Zerstörung kleinbäuerlicher Landwirtschaft durch große Agrarchemiekonzerne ist ein Riesenthema.

R: Und der Kolonialismus, von dem wir die ganze Zeit gesprochen haben und der mit meiner Person und Familiengeschichte so eng verbunden ist, auch. Ich bin ja nur lebendig, weil zwei Menschen aus komplett verschiedenen Kulturen und Kontinenten zueinander gefunden haben und das entstand auch auf Grund der Kolonisierung. Alles ist so vernetzt und auch kompliziert. Aber Vandana Shiva spricht darüber ganz simpel. Über den Boden, die Erde, den Samen. Sie sammelt und bewahrt die Samen der Kleinbauern, um den großen Firmen, die genetisch verändertes Saatgut verkaufen und Bauern abhängig machen, etwas entgegenzusetzen. Sie hat sofort angefangen, ganz konkret etwas dagegen zu unternehmen. 

S: Sie ist auch Philosophin … 

R: Sie ist Philosophin und Physikerin, unglaublich belesen und intelligent und hat sich immer wieder ganz konkret und praktisch eingesetzt. Und der Ursprung ihrer politischen Arbeit ist ganz schlicht das: Die Erde, die die Menschen dort, vor Ort, ihre Gemeinde, ihr Dorf ernähren konnte. So. Ich fühle mich davon nicht weit weg, wenn ich diese Geschichten mit erzählen möchte. Was für mich wichtig ist.

S: Jetzt würde ich gern noch kurz einen anderen, etwas beladenen Begriff ins Gespräch bringen, nämlich die Schönheit. 

R: Hm … (leises Lachen im Publikum)

S: Ich persönlich finde deine Arbeiten sehr schön. Ich schaue sie gern an, sie haben diese Leichtigkeit, über die wir sprachen, sie sind schön und gleichzeitig komplex. Um z.B. Ameisen zu sehen, muss ich schon etwas länger hingucken. Wenn ich näher herangehe, werden die Zeichnungen ganz kleinteilig, dann gehe ich wieder zurück und nehme vielleicht eine Form wahr, ein Tier, eine Bewegung … sie laden dazu ein, auf eine sehr freundliche Art, sich in eine Auseinandersetzung zu begeben. Deine Kunst ist unglaublich einladend. In meinen Augen jedenfalls. Was würdest du sagen?

Rani (lacht): Das können wir ja auch mal so stehen lassen. Ja … das ist vielleicht die beste Seite von mir, im Gespräch bin ich nicht immer so einladend … (lacht weiterhin), da kann ich auch ganz gut austeilen. Aber die Kunst ist sicher die Sprache, in der ich mich am besten ausdrücken kann, um einen Dialog anzufangen. Den Dialog nicht abzuschneiden. … Was dem auch zu Grunde liegt, ist, dass Kunst mich nur da interessiert, wo sie für andere etwas öffnet. Und nicht etwas abschließt. Man kann es auch so sehen, dass eigentlich nicht eine Arbeit hier hängt, die fertig ist…ich lasse sie unfertig, ich beende sie in einem Moment, wo es noch weitergehen könnte. Manche hängen hier, die vielleicht sogar noch reduzierter sein könnten. Ich stelle Sachen aus, die auch weitergehen können.

S: Das ist dann die Offenheit? 

R: Ja, die Zeichnungen gehen ja auch oft über das Blatt hinaus oder in die anderen hinein oder woanders hin. Als wir neulich hier in die Galerie kamen, sagte jemand: Wahnsinn, wie die Galerie sich auf einmal öffnet! Ja, das ist gut, wenn jemand das so empfindet, dann habe ich mein Ziel erreicht. Dann habe ich erreicht, was ich damit will: Einen Raum öffnen. 

Das Vandana Shiva – Zitat stammt aus: Vandana Shiva: Jenseits des Wachstums. Warum wir mit der Erde Frieden schließen müssen, aus dem Englischen von Antje Papenburg, Rotpunktverlag, Zürich 2014, S. 22